
Der schönste Namen der Stadt ist As Sawira – »Welche schönes Bild«! Gemeint sind die Farben, die Menschen, die Gerüche, die Geschichten, die sich beobachten lassen.
Der Fischmarkt am späten Vormittag ist großes Kino in Cinemascope, unterlegt mit Musik, die auch bei den Donaueschinger Musiktagen gespielt werden könnte, ein Konzert für menschliche Stimmen, Wind, Möwengeschrei und Meeresrauschen.

Die Schiffe werden entladen,

die Kleinhändler kaufen den Vorrat für den Tag. Es ist Leben im Überfluss, zumindest, wenn man genug Dirhan in der Tasche hat.
Was man alles sehen kann:

- ein Fahrrad mit Kreativ-Sattel

- eine Katze aus 1001 Nacht, die hoch über der Straße auf der Mauer balanciert
- ein Betteljunge, der ein Päckchen Tempos verkaufen will und einen Tanz vollführt, bei dem er auch das Schlagzeug imitiert
- eine Touristin, die im Café sitzend eine Katze wie ein Kind im Arm hält
- ein junger Marokkaner, der einem Europäer mit Kreislaufproblemen ganz selbstverständlich unterstützend die Hand reicht
- herausgeputze Mädchen, die über die Straße schweben
- große Karren mit frischen Erdbeeren
- ein Mann mit einer Lampe, die er wie ein Minensuchgerät vor sich her trägt.
- Bettler, die tatsächlich ein paar Dirhan bekommen
- eine tote Ratte
- völlig unangemessen gekleidete Touristen
- ein Gasverkäufer mit Karren, der auf seinem Handy daddelt
- zwei Jungen, die auf dem Fahrrad Akrobatik treiben
- eine Frau in verwinkelten jüdischen Viertel, die ungefragt den richtigen Weg weist
- 1001 Nacht am Tag

Im ehemaligen jüdischen Viertel liegt die Synagoge »Slat Lkahal« oder »Rabbi Haïm Pinto«, vorzüglich renoviert und von Polizei bewacht, betreut von einer muslimischen Frau, die die Besucher nach einiger Zeit der Besichtigung aus Gotteshaus herausbittet, damit sie zu Hause rechtzeitig das Mahl fürs Fastenbrechen zubereiten kann. Das Zusammenleben der Religionen scheint in Marokko funktioniert zu haben. Und gegenwärtig unterstützt das Königshaus das nationale Erbe.
Aufgeschlagen auf dem Lesepult der Synagoge, der Bima, liegt die Thora mit dem Lied vom Anfang der Welt, das die Schönheit der Schöpfung beschreibt und die Welt als Geschenk Gottes preist.

Immer wieder taucht die Frage auf, wie die Völker und Nationen zusammenleben können. Wir sehen hier in Essauoira die vielen Farben des Lebens, wir lassen uns verzaubern von einer fernen nahen Welt. Und wir hören mit Schrecken von den Bestialitäten, die im Namen von Ideologien an den jungen Männern und Frauen, an Alten und Kindern begangen werden, um Ehre und Ansehen wiederherzustellen oder aus sonstigen absurden Gründen, angeordnet von Herrschern, die verurteilte Verbrecher sind, gegen die Haftbefehle vorliegen oder die offen die Gesetze des Landes missachten und die Würde der Menschen mit den Füßen treten.
Eine Möwe ist keine Taube, nein, aber den Frieden verkünden kann sie allemal. Hier in Essaouira kann man die Farbe des Friedens lernen.
